Bislang hat die Baubranche ausschließlich die Reduzierung der Emissionen in der Nutzungsphase der Gebäude betrachtet. Doch die bei den Roh- und Baustoffen eingetretene Ressourcenknappheit, Bau- und Abbruchabfälle und Emissionen aus ihrer Herstellung sorgen für neuen Druck, auf alternative Materialien und Bauweisen auszuweichen
In diesem Artikel zeigen wir anhand dreier Themen, wie die Klimakrise, eine Ressourcenkrise und das große Abfallaufkommen den Weg für neue Lösungen in der Baubranche ebnen.
Steigende Energieeffizienz von Gebäuden reduziert den Energieverbrauch in der Nutzungsphase, ein wichtiger Schritt zur Reduzierung der CO2-Emissionen im Gebäudesektor. Damit gewinnen der Energieaufwand zur Gewinnung der Rohstoffe, Herstellung der Bauprodukte und ihr Transport an den Bestimmungsort an Bedeutung. Diesen Aufwand bezeichnet man als graue Energie und die Emissionen entsprechend als .
Je nach Konstruktion und Effizienzstandard der neu errichteten Gebäude kann der Anteil der grauen Emissionen 25 bis 40 Prozent an den gesamten CO2-Emissionen der Nutzungsphase betragen. Konstruktion und Bauart sowie die verwendeten Baustoffe beeinflussen in zunehmendem Maße die Wirkung der Gebäude auf unser Klima. Mit klima- und ressourcenschonenden Neubauten könnten in Deutschland jährlich sieben Millionen Tonnen CO2-Äquivalent eingespart werden.
Für die Bewertung der Klimafreundlichkeit ist es wichtig, die Emissionen des gesamten Lebenszyklus’ der Gebäude zu betrachten. Um den Anteil der grauen Energie zu ermitteln, stellen Planer eine softwaregestützte Ökobilanz auf. Diese erfasst alle Materialien, die für den Bau des Gebäudes vorgesehen sind, mit ihren Eigenschaften und ihrer Lebensdauer. Das Ergebnis ist die Aussage über den ökologischen Fußabdruck des Gebäudes.
Eine positive Ökobilanz zu erzielen ist durchaus machbar. Dafür muss das Gebäude eine negative CO2-Jahresbilanz aufweisen. Dies ist durch eigene Energieerzeugung (zum Beispiel mit einer Photovoltaikanlage) und die Abgabe der überschüssigen und emissionsfrei erzeugten Energie in das Netz möglich. Die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) zeigt einige Praxisbeispiele, die sie als klimapositive Gebäude ausgezeichnet hat. Ihre Gemeinsamkeit ist ein geringer Energieverbrauch und eine eigene Energieerzeugung, zum Beispiel mit einer Photovoltaikanlage und innovativen Lösungen für die Wärmeversorgung. Dazu gehören z. B. Abwärmenutzung aus dem Abwasser und Geothermie als Wärmequellen für Wärmepumpen.
Beispiele mit positiver Klimabilanz:
Gebäude mit Holzkonstruktionen, zum Beispiel in Holzständerbauweise oder Holz-Hybridkonstruktionen, erzielen eine besonders gute Ökobilanz. Auch der Einsatz von Recyclingbaustoffen und die Wiederverwendung von Baustoffen oder Bauteilen sorgen für eine bessere Ökobilanz. Für die Herstellung ist ein verhältnismäßig geringer Energieaufwand nötig, in der Nutzung entstehen geringe Emissionen und eine spätere Verwertung oder weitere Verwendung ist ohne großen Aufwand möglich.
Als Beispiel für eine solche Bauweise entsteht in Berlin-Neukölln derzeit das Circular Economy House. Es handelt sich um den Umbau eines ehemaligen Lagehauses der Kindl-Brauerei mit Aufstockung in Holztafelbauweise und der Wiederverwendung von Ressourcen.
Die Baubranche verarbeitet Jahr für Jahr riesige Baustoffmengen. Allein in Deutschland werden jährlich 517 Millionen Tonnen mineralischer Rohstoffe verbaut. Hinzu kommen 26,6 Millionen Tonnen Zement und 5,5 Millionen Tonnen Baustahl. Die Rohstoffe, aus denen diese Baustoffe hergestellt werden, sind weitestgehend ausgebeutet, ihre Lagerstätten sind begrenzt oder sie wachsen nicht im gleichen Maß nach wie sie benötigt werden (Quelle: dena Gebäudereport 2021).
Sand ist nach Wasser der zweitwichtigste Rohstoff der modernen Gesellschaft, denn ohne Sand kein Beton. Er wird aber auch für mineralische Putzarten, Estrich und Fensterglas gebraucht. Auch andere Branchen, zum Beispiel für Hersteller von Computerchips und Solarzellen, haben einen sehr großen Bedarf. Jährlich werden weltweit 15 Milliarden Tonnen Sand abgebaut - eine unvorstellbare Menge. Die große Nachfrage fördert weltweit den Raubbau. So werden Lebensräume von Mensch und Tier zerstört, Flüsse verschmutzt und Strände verschwinden.
Der in Deutschland verarbeitete Sand stammt überwiegend aus eigenem Abbau in Sand- und Kiesgruben. Inzwischen müssen die Verarbeiter auch auf Importe aus anderen Ländern zurückgreifen. Es gibt zwar noch genügend Sand, aber es wird immer schwieriger, neue Abbauflächen zu erschließen. Gründe sind u. a. die Versiegelung geeigneter Flächen oder Nutzungskonflikte. Der Abbau von Sand trägt zur Zerstörung der Biodiversität bei, mit gravierenden Folgen für unser Leben.
Gebäude mit geringem Sandanteil zu bauen, ist möglich. Ein Teil des Sandes kann durch die Verwendung von Recycling-Beton mit rezykliertem Bauschutt als Zuschlagstoff ersetzt werden.
Wer auf Sand verzichten möchte, baut mit Holz und spart so den Einsatz von Beton. Holz oder holzbasierte Baustoffe und Produkte aus nachwachsenden Rohstoffen lassen sich in vielen Bauteilen einsetzen.
Forscher von vier Fraunhofer-Instituten haben im Projekt BauCycle ein Verfahren zur Gewinnung einer Alternative zu Sand aus Bauschutt entwickelt. Daraus lassen sich zum Beispiel neue Porenbeton Steine herstellen.
Eine innovative Lösung bietet das kanadische Startup CarbiCrete. Sie verwenden die bei der Stahlproduktion anfallende Schlacke als Mahlgut und ersetzen damit den Zement als Bindemittel bei der Betonherstellung.
Das amerikanische Startup
Biomason beschreitet einen alternativen Weg. Sie züchten ihren Biozement mit Hilfe natürlicher Mikroorganismen.
Die Baubranche gehört in Deutschland zu den größten Abfallproduzenten. Jedes Jahr fallen 209 Millionen Tonnen Bau- und Abbruchabfälle an – 52 Prozent des gesamten deutschen Abfallaufkommens.
Wiederverwertete oder recycelte mineralische Baustoffe werden zurzeit überwiegend im Straßen- und Wegebau oder beim Bau von Lärm- und Sichtschutzwällen verwendet.
Das Potential zur Wiederverwendung verbauter Rohstoffe liegt heute bei sieben Prozent. Bei positiven Rahmenbedingungen sieht das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung BBSR die Chance, das Potential auf 20 Prozent anzuheben (Quelle: dena Gebäudereport 2021).
Zahlreiche Initiativen beschäftigen sich inzwischen mit der Wiederverwendung von Bauteilen und Bauprodukten. Bevor ein Gebäude abgerissen oder saniert wird, untersuchen sie die Bauteile (z. B. Fenster, Türen oder Treppensegmente) auf die Möglichkeit zur Verwendung in einem anderen Gebäude. Dies verringert das Abfallaufkommen und verbessert die Ökobilanz am neuen Einsatzort, da keine Energie für die Herstellung aufgebracht werden muss.
Das Stuttgarter Startup Concular erfasst und bewertet Materialien in neuen Gebäuden und in Bestandsobjekten nach Rückbaufähigkeit, Wert und Vermittlungswahrscheinlichkeit. Die Ergebnisse speichern sie in einem Materialpass und einer Datenbank für einen späteren Rückbau. Für die Eigentümer verringern sich dadurch die Rück- oder Umbaukosten. Planer und Bauherren können in der Datenbank nach geeigneten Bauprodukten suchen.
Neue Gebäude werden so geplant und gebaut, dass sie später komplett oder teilweise abgebaut und ihre Bauteile in neuen Gebäude wiederverwendet werden können. Diesen Ansatz bezeichnet man als zirkuläres Bauen.
So werden Stoffkreisläufe geschlossen, die Bauschutt und Abfallmengen verringert, Ressourcen geschont und Emissionen reduziert. Ein Gewinn für Mensch und Natur.
Ein Beispiel für kreislauforientiertes Bauen ist das Recycling Haus der Architekten Cityförster in Hannover. Zum Einsatz kamen zahlreiche recyclingfähige Bauprodukte genauso wie bereits recycelte Materialien und gebrauchte Bauteile. Letztere stammen teilweise aus Beständen der Bauherrin oder aus lokalen Objekten. Die recyclinggerechte Bauweise ermöglicht einen späteren Abbau von Bauteilen ohne Einbußen an Qualität sowie eine sortenreine Trennung von Baustoffen nach dem Ende ihrer Lebensdauer.
Weitere Beispiele für zirkuläres Bauen:
Nachhaltiges Bauen bedeutet mehr als nur die Reduzierung der Treibhausgasemissionen in der Nutzungsphase. Bereits in der Konzeption und Planung muss die Nachhaltigkeit mit der Berücksichtigung emissionsarmer und ressourcenschonender Produkte mitgedacht werden. Mit dem Einsatz von Holzkonstruktionen oder nachwachsenden Rohstoffen lässt sich die Ökobilanz genauso verbessern wie mit dem Einsatz von recycelten Baustoffen oder der Wiederverwendung von ganzen Bauteilen.
Lesen Sie in Teil 2: Nachhaltig bauen – worauf muss ich achten, welche Materialien und Zertifizierungen gibt es und was sagen sie aus.
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